Warum Grundbedürfnisse keine Ferien kennen
„Gehen wir morgen echt schon wieder nur an den Strand?! Dann hätte ich mich ja gar nicht so auf den Urlaub freuen brauchen!“
Was wir uns als Eltern nun denken und vielleicht sogar sagen könnten: „Wie undankbar. Du weißt ja gar nicht wie gut du es hier hast. Bleibst du beim nächsten Mal eben bei Oma und Opa und wir fahren alleine in den Urlaub. Ist mit euch hier sowieso noch anstrengender als zuhause.“ Was eigentlich aus uns spricht: Enttäuschung, ein Gefühl der mangelnden Wertschätzung, Traurigkeit oder vielleicht sogar Wut.
Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Flug in den Urlaub. Damals war ich sechs Jahre alt und es ging nach Mallorca. Ich war unglaublich aufgeregt und dachte, wir flögen ins Paradies. Da im Urlaubland ja alles noch schöner sein sollte als zuhause, hing die Latte also ganz schön hoch. Am Ziel angekommen enttäuschte mich die karge Landschaft und es gab weder mein Lieblingsessen, noch gewohnte Spielsachen, meine Freunde oder ein gemütliches Bett wie zuhause. Kurzum: Ich wollte lieber wieder heim.
Sind wir als Eltern in der Rolle derer, die Urlaubstage und Budget angespart, Mühe und Zeit in die perfekte Planung und Organisation gesteckt und tagelang die Koffer gepackt haben, sitzt so ein „hier ist’s doof, ich will heim“ irgendwie gewaltig.
Versuchen wir das Dilemma aus der Vogelsperspektive zu betrachten: Was bedeutet Urlaub und Entspannung für uns Eltern? Weniger Verpflichtungen, mehr Selbstbestimmung, dazu ein bisschen Ruhe, ein nicht von uns gedeckter Tisch mit im besten Fall nicht von uns gekochtem Essen, ein bisschen Zweisamkeit. Kurzum: Entspannung wäre Care-Arbeitsentlastung, Verbindung zueinander und wiedergewonnene Autonomie, die im Familienalltag zuhause zu kurz kommt.
Was wir bekommen: Mehr-Arbeit im Vorfeld wie im Nachgang, vor Ort daueraufgeregte Kinder, die abends nicht einschlafen können, dann aber lieber ins Elternbett kommen und 24/7 Zuständigkeit mangels Betreuungsoptionen. Je nach Unterbringung: Kochen wie zuhause oder teure Restaurantbesuche „on top“.
Vorab sollten wir wissen: Damit sich unsere Kinder entspannen können, müssen ihre emotionalen Grundbedürfnisse- Autonomie, Verbindung und Sicherheit befriedigt sein. Und da liegt die Schaufel im Sand begraben. Wenn wir uns vor Ort (noch) nicht auskennen und als Eltern die Autonomie der Kinder somit beschränken müssen, schafft das Frustration. Wenn Freunde und Familie zuhause und die Eltern selbst vor Urlaubsstress nicht bereit sind, in Verbindung zu ihren Kindern zu gehen, bleibt auch dieses Grundbedürfnis ungesehen. Wenn dann generell auch noch nichts ist wie daheim, ist die Sicherheit dahin. Kurzum: Da kann das Bananenboot schon einmal ins Schaukeln geraten oder gleich kentern.
Das Gute ist: Mit zunehmenden Urlaubstagen steigt die Chance auf Urlaubs-verbindungen, wir finden uns alle in der neuen Umgebung zurecht, gewinnen an Sicherheit und können dann auch wieder mehr Autonomie gewähren.
Im Übrigen gelten die emotionalen Grundbedürfnisse ebenso für uns Eltern. Auch wir gewinnen mit der Zeit an Sicherheit, unterhalten uns mit dem Nachbartisch, werden kreativ, um mit dem/der Partner/in Zeit zu verbringen und unsere Verbindung zu stärken und gelangen auch dann zu mehr autonomen Momenten, wenn es unsere Kinder ebenfalls tun.
Aus welcher Perspektive wir die „schönsten Wochen des Jahres“ sonst noch betrachten könnten. Hier ein kleiner „Reiseführer“:
Überlegen wir uns als Eltern vorab, welches unserer eigenen Grundbedürfnisse dringend aufgetankt werden müsste. Wollen wir am liebsten den ganzen Tag von unserer Familie umgeben sein oder ist es die eigene Autonomie, die grad bei uns im Fokus steht? Brauchen wir Gewohntes, das uns Sicherheit gibt oder haben wir so richtig Lust darauf, einmal abenteuerlich über den Tellerrand zu schauen und die Sicherheitszone zu verlassen?
Sprechen wir, je nach Alter, mit unseren Kindern und finden heraus, was Urlaub für Sie bedeutet. „Wie könnte ein Tag aussehen, der dich richtig freudig macht? Wobei kannst du Kraft tanken?“ Erfühlen wir, was unsere Kinder momentan brauchen. Sind es feste, sicherheitsspendende Rituale, versuchen wir diese auch im Urlaub beizubehalten. Nutzen wir den Urlaub und frei gewordene Ressourcen vielleicht für das Begleiten unserer Kinder in deren Autonomie. Warum nicht also gerade jetzt Schwimmenlernen? Auch Zeit mit einem Elternteil alleine, kann die Verbindung zueinander vertiefen und in der Urlaubssituation besser umzusetzen sein.
Wie auch immer unser Sommerurlaub in diesem Jahr aussehen soll- versuchen wir im Vorfeld bei unserem Wunsch nach Entspannung genau hinzuspüren. Was ist es, was wir, Große wie Kleine, wirklich brauchen und wie können wir gut miteinander kommunizieren und uns gegenseitig diese Räume zum Krafttanken ermöglichen.
Eine kraftvolle, entspannte Urlaubszeit wünsche ich euch!
Eure Sonja
Praxis Samtweiss, Familie, Beziehung, Bindung
erschienen in: Mamamia Würzburg, Juni 2023